Montag, 8. April 2013

Anomalien_4

Kalender- oder saisonale Effekte 

Nicht jeder Tag ist ein gleich guter Kauftag

Wie schon ein Blick auf die bisherigen Anomalien gezeigt hat, wirken sich die gefundenen Abweichungen von einer Zufallsverteilung, wie sie bei einer uneingeschränkten Gültigkeit der Markteffizienzhypothese zu erwarten wären, nicht an jedem Tag des Jahres gleich aus. Die Unterschiede sind auch nicht kurzlebige Kurskapriolen, sondern vielmehr lassen sich deutliche Muster finden, die zumindest weitgehend durch Thesen der Behavioral Finance oder andere typische wirtschaftliche Unterschiede im Verlauf eines Kalenderjahres erklärt werden können. Es dürfte sich also nicht um bloße statistische Artefakte handeln, die sich bei fast unendlich vielen Auswertungen des umfangreichen weltweiten Datenmaterials über Aktienkurse und Unternehmensdaten fast zwangläufig wie schwarze Schwäne finden lassen.


Januareffekt (January Effect bzw. Turn-of-the-Year-Effect)

Der "unglaubliche Januar-Effekt", wie Haugen/ Lakonishok ihre Untersuchung über die bemerkenswerten Kursschwankungen am Jahreswechsel betiteln, gilt sogar als das "am besten bekannte Beispiel eines anomalen Verhaltens der Wertpapiermärkte auf der ganzen Welt". Der Tatbestand lässt sich einfach beschreiben: im Januar steigen die Aktienkurse überdurchschnittlich stark, und zwar vor allem die von Firmen mit einem niedrigen Marktwert, sodass man auch von einem "Small-firm-in-January"-Effekt spricht. 
Dabei konzentriert sich dieser Effekt sehr stark auf den unmittelbaren Jahresanfang, denn die Hälfte der Gewinne entsteht bereits in den ersten fünf Handelstagen. Eine knappe Woche des Jahres verdient somit besondere Aufmerksamkeit, sollen nicht die besten Gelegenheiten innerhalb von 365 Tagen ungenutzt verstreichen. 

Diese Merkwürdigkeiten der Aktienkurse, die die moderne Finanztheorie mit harten empirischen Fakten konfrontieren und in Frage stellen, wurden nach und nach in dem Dickicht der Kursdaten entdeckt. Es begann 1976, als sich in einer ersten Untersuchung (Roseff/Kiney) der Januar im monatlichen Vergleich als besonders renditeträchtig herausstellte. Danach wurde dann diese Globalaussage näher differenziert:

- Der größte Teil der Überrendite trat bereits in den ersten zwei Wochen auf   (Keim (1983)).

- Vor allem kleine Werte schnitten im Januar besonders gut ab (Reinganum (1983)).

- Der Effekt trat in praktisch allen Aktienmärkten der Erde auf (Gulteken/Gulteken (1983)).

- Eine außergewöhnliche Zusatzrendite erzielten die Aktien von Gesellschaften, die 

- keine Dividende zahlten (Keim 1985) bzw. 

- in der Vergangenheit eine schlechte Performance hatten (De Bondt/ Thaler (1985)). 

Aufgrund dieser Daten wurde der Januar nicht nur als besonders renditeträchtig gerühmt, sondern sogar als typischer Zeitpunkt von Weichenstellungen apostrophiert, wenn einige Finanzmarktmarktforscher feststellen, dass alle Umkehrprozesse auf dem Aktienmarkt im Januar erfolgen (DeBondt/Thaler), sich also wie einst bei den römischen Saturnalien die soziale Welt auf den Kopf gestellt wird und in diesem Fall aus Verlierern Sieger bzw. aus ehemaligen High Flyern lahme Enten werden. 

Halloween- oder Winter-Effekt (Halloween effect/ indicator)


"Sell in May and go away" lautet eine klassische Börsenweisheit, die mit der Maxime "but remember come back in September" bzw. "but buy back on St. Leger Day" ergänzt wird. Dabei bezieht sich die Terminierung des Wiedereinstieg auf ein traditionelles Pferderennen im englischen Doncaster, das jährlich Mitte September stattfindet. 

Empirische Untersuchungen der Aktienkursverläufe während der einzelnen Monate haben diese Daumenregel nur teilweise als richtig und erfolgversprechend nachgewiesen, denn der September ist aufgrund einer unterdurchschnittlichen, um nicht zu sagen miserablen Durchschnittsperformance eher ein Monat zum Aus- als zum Einstieg. Die empfohlene Sommerpause ist hingegen für den an historischen Renditemustern orientierten Anleger nicht ohne Reiz. 

Für die 32 Jahre von 1970 bis 2001 betrachteten Keppler und Xue den MSCI-Weltindex sowie 18 seiner nationalen Teilindices. Dabei lassen sich die Monate recht einfach in zwei Kategorien teilen, in die „guten“ (von November bis April) und die „schlechten“ (von Mai bis Oktober). Während die Kurse in der „guten“ Aktiensaison immerhin durchschnittlich um mehr als 8% jährlich stiegen, kam es in der übrigen Zeit zu leichten Verlusten. Wäre man daher nur zwischen November und April investiert gewesen, hätte sich in dem Untersuchungszeitraum das eingesetzte Kapital mehr als verzehnfacht. Hingegen wäre es in dem restlichen Zeitraum um 21% geschrumpft.


Monatswechseleffekt (turn of the month (TOM))


Anfang der 1980er Jahre untersuchte Ariel den empirischen Wert einer älteren Börsenregel: „Erledige geplante Käufe vor dem Monatsersten und verschiebe geplante Verkäufe auf die zweite Monatshälfte.“ So teilte er für den Zeitraum 1963-1981 die Handelstage in zwei gleichgroße Gruppen, wobei er – sicherlich nicht logisch, aber durchaus mit intuitivem Gespür – den letzten Handelstag eines Monats mit den ersten 9 des anschließenden zur ersten Monatshälfte rechnete. Seine Rechnungen ergaben einen frappierenden Unterschied für den betrachteten Zeitraum von knapp 20 Jahren: ein Investor, der nur in der ersten Monatshälfte – so wie sie Ariel definiert hat – investiert gewesen wäre, hätte sein eingesetztes Kapital um 2552,4% vermehrt, während ein Investor, der nur auf die zweite Monatshälfte gesetzt hätte, bei –0,25% gelandet wäre. An der Börse konnte also nur in der ersten Monatshälfte Geld verdient werden, während es in der zweiten eher wieder verloren ging.

Als entscheidend für diese Ergebnisse und damit die Rechtfertigung einer speziell ausgewiesenen Halbmonatsanomalie erwies sich allerdings die Zuordnung des letzten Handelstag eines Monats mit seinen deutlichen Überrenditen.

In ihrer Analyse der monatlichen Kurschwankungen stellen Lakonishok/Smidt daher eine Anomalie von vier Tagen um den Monatswechsel heraus. In dieser Zeit vom Tag vor dem Monatsersten und den drei folgenden Handelstagen stiegen Kurse um insgesamt 0,47%, während sie es für einen gesamten Durchschnittmonat nur auf 0,35% brachten. Die Überrenditen an diesen vier Tagen des Monatswechsels (turn of the month (TOM)) konnten damit die insgesamt negativen Renditen der übrigen Handelstage so stark überkompensieren, dass unter dem Strich noch die schöne positive Risikoprämie für Aktien übrig blieb.


Wochenendeffekt  (weekend effect)

"Don't Sell stocks on Monday!" lautete 1987 der Titel eines Buches von Hirsch, mit dem auf die unterschiedlichen Durchschnittsrenditen an den Wochentagen aufmerksam machte. Auch in späteren Untersuchungen wurden die Effekte bestätigt, die das Wochenende für die durchschnittliche Kursentwicklung besitzt. Danach verabschieden sich die Börsen am Freitag mit überdurchschnittlichen Renditen, auf die dann am Montagmorgen negative Resultate folgen. Damit sind also Freitage für Verkäufer und Montage für Käufer relativ interessante Wochentage. 

Als Erklärung dienen Stimmungsfaktoren aufgrund der Freizeit, so zunächst die Freude auf das kommende Wochenende und danach die Rückkehr in das Arbeitsleben an einem „dull monday“.


Feiertagseffekt (Holiday effect)

Bekanntlich gibt es neben den ganz normalen Wochenenden auch weitere arbeitsfreie Tage, für die man entsprechende Effekt erwarten kann. Diese Aktienkursentwicklungen vor und nach Feiertagen haben Lakonishok/Smidt in den USA untersucht, die in ihrem 1988 veröffentlichten Aufsatz einen Feiertagseffekt beschreiben, der zwei- bis viermal so hoch wie der normale Wochenendeffekt liegt. Später wurde ähnliche Tendenzen auch auf weiteren Aktienmärkte gefunden. 

Weniger eindeutig waren die Kurstendenzen nach dem oder den Feiertagen; denn in ihrer klassischen Untersuchung fanden Lakonishok/Smidt bis 1952 keine besondere Kursentwicklungen, für die späteren Jahre jedoch einen signifikanten Post-Ferien-Effekt. Andere Forscher wiesen jedoch anomale Kurstendenzen nach, die dem Montagseffekt entsprechen.

Neuere Untersuchungen, die sich mit dem Feitagseffekt in nicht-christlich geprägten Ländern beschäftigen, entdeckten besonders ausgeprägte positive Kurstendenzen für religiöse Feiertage. Das gilt sowohl für Hindu-Festtage in Indien, das chinesische Neujahrsfest in Singapur und islamische Feiertage. (Dodd/ Gakhovich)

Als Erklärung für diese Effekte verweist die Behavioral Finance auf einen Zusammenhang zwischen menschlicher Freude und erhöhter Risikobereitschaft hin, indem die positive Stimmung, die mit großen Festen verbunden ist, zu positiven Zukunftserwartungen und damit einer vermuteten günstigen Kursentwicklung führt.

Auch in Deutschland trat zumindest während der letzten Jahre ein signifikanter
Feiertags-Effekt für DAX, MDAX und SDAX auf. Dabei ist sogar festzustellen, dass diese Anomalie nach ihrer Entdeckung und Publizierung im Jahr 1988 sogar noch deutlicher hervortritt, da der Effekt seit 1993 für alle drei Indizes statistisch nachgewiesen ist. (Salm/Siemkes) 

Wie auch andere Anomalien weist der Feiertagseffekt eine Besonderheit auf, denn er hängt nicht von der Marktkapitalisierung der beteiligten Unternehmen ab, er tritt also bei den Aktien niedrig kapitalisierter Unternehmen nicht verstärkt auf (Kim/Park).

Quellen:
Ariel, Robert A., A Monthly Effect in Stock Returns, 1987.
de Bondt, Werner F. M. und Thaler, Richard, Does the stock market overreact ?, in: Journal if Finance, 1985, S. 793-805.
Dodd, Olga und Gakhovich, Alex, The holiday effect in Central and Eastern European financial markets, in: Investment Management and Financial Innovations, 2011, 4, S. 29-35.
Gulteken, M. und Gulteken, B., Stock market seasonality: International evidence, in: Journal of Financial Economics, 1983, S.469-481. Haugen, Robert A. und Lakonishok, Josef, The Incredible January Effect: The Stock Market's Unsolved Mystery, 1987. 
Hirsch, Yale, "Don't Sell stocks on Monday!", 1987. 
Keppler, A. Michael und Xue, Xing Hong, The Seasonal Price Behavior of Global Equity Markets, in: Journal of Investing, 2003, S. 49-53.Keim, Donald B., Size-Related Anomalies and Stock Return Seasonality: Further Empirical Evidence, Journal of Economics, 1983, 12, S.13-32. 
Ders., Dividend yields and stock returns: Implications of abnormal January returns, in: Journal of Financial Economics, 1985, S. 473-489. 
Kim, Chan-Wung and Park, Jinwoo, Holiday Effects and Stock Returns: Further Evidence, in: Journal of Financial and Quantitative Analysis, 1994, 1, S. 145-157. 
Lakonishok, Josef und Smidt, Seymour, Are Seasonal Anomalies Real? A Ninety-Year Perspective, in: Review of Financial Studies, 1988, S. 403-425. 
Reinganum Marc R., The anomalous stock market behaviour of small firms in January: Empirical tests for year-end tax effects, in: Journal of Financial Economics, 1983, S. 89-104. 
Rozeff, Michael S. und Kinney, William R., Capital market seasonality: The case of stock returns, in: Journal of Financial Economics, 1976, S. 379-402. 
Salm, Christian und Siemkes, JörgPersistenz von Kalenderanomalien am deutschen Aktienmarkt, in: Finanz Betrieb, 2009, S. 414-418.

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