Montag, 8. April 2013

Anomalien_2


Fama-French-Modell

 Größe- und Buchwert- Effekte und das Fama-French-Modell


In der theoretischen Diskussion nehmen zwei bereits relativ lange bekannte Anomalien eine Sonderstellung ein, da der Begründer der EMH, also Eugene Fama, (geb. 1939) sie gemeinsam mit seinem Kollegen Kenneth French (geb. 1954) als zentrale Merkmale in einem Dreifaktorenmodell verwendet, um Aktienrenditen zu erklären.

Der Größe-Effekt (size effect)

Nach dieser Anomalie weisen Aktien von Gesellschaften mit geringerer Marktkapitalisierung langfristig gesehen eine höhere Rendite auf als die größerer Gesellschaften. Die Größe eines Unternehmens hängt bei dieser Hypothese also, anders als man es vielleicht nach den Eindrücken im Alltagsleben erwarten würde, nicht von physischen Merkmalen wie dem ist Betriebsgelände oder der Zahl der Arbeitsplätze, und auch nicht von bilanziellen Zahlen wie der Bilanzsumme oder dem Eigenkapital ab, sondern ausschließlich von dem Wert, den das Unternehmen nach einer aktuellen Börsenbewertung besitzt. Marktkapitalisierung ist schließlich nichts anderes als das Produkt aus Börsenkurs und der Zahl der ausgegebenen Aktien.

Rolf Banz veröffentlichte bereits 1981 einen Artikel zu diesem "Small Firm Effect", wie er ihn nannte, der sich auch bei einer Berücksichtigung des unterschiedlichen Risikos der Aktien kleiner und großer Unternehmen nachweisen ließ. Das war damals, als sich die Fachwelt gerade mit der EMT und angefreundet hatte, fast eine wissenschaftliche Sensation, sodass es nicht überrascht, wenn der Artikel bereits 1979 eingereicht, aber erst zwei Jahre später veröffentlicht wurde. Danach hatten zwischen 1936 and 1975 die Aktien kleiner Gesellschaften an der NYSE höhere Renditen erzielt als die großer Gesellschaften, und zwar unter Brücksichtung der Volatilität bzw. des Risikos der Aktien. Im Durchschnitt betrug dabei der Unterschied risikoadjustiert 0,4 Prozentpunkte pro Monat. Den wesentlichen Unterschied machten dabei die sehr kleinen Unternehmen aus.

Banz selbst sah in seinem Ergebnis nicht nur eine kritische Herausforderung für das CAPM, sondern billigte dem Größe-Effekt aufgrund seiner Stärke mehr zu ein bloßes  „akademisches Interesse“. Dabei ließ er es offen, ob die Marktkapitalisierung selbst für die Renditeunterschiede verantwortlich ist oder nur ein Merkmal ist, das zugrundeliegende Faktoren repräsentiert.

Später fand neben zahlreichen anderen Autoren auch Jerome Siegel diese Anomalie bestätigt. So wäre nach seiner langfristigen Berechnung jeder Dollar, den man  Ende 1925 in Aktien investiert hätte,  im Durchschnitt bis 1987 auf 347,96 Dollar angewachsen, während eine Fokussierung auf kleine Unternehmen sogar 1202,97 Dollar gebracht hätten.

Dabei zeigten sich allerdings deutliche zeitliche Schwankungen, auf die bereits Banz hingewiesen hatte, denn er gab immer wieder Perioden, in denen die Aktien marktbreiter Gesellschaften eine bessere Entwicklung aufwiesen. Bemerkenswert ist allerdings, dass es für diesen Effekt eine nachweisbare Reaktion auf seine Entdeckung gibt. So unterscheiden

Generell lässt sich jedoch ein internationaler Größe-Effekt finden, wie eine Literaturauswertung von van Dijk zeigt. Danach sind die Ausprägungen zwar sehr unterschiedlich, wenn sie in Untersuchungen für US-amerikanische Aktien zwischen den 0,4 % Prozentpunkten bei Banz und 2,52 Prozentpunkten (S. 38) und –0,4 Prozentpunkten in Korea und 5,06 Prozentpunkten in Australien schwanken. Nach dieser Metaanalyse ist Korea das einzige Land mit einer e konträren Abweichung, wobei zu berücksichtigen ist, das dort nur ein Zeitraum von fünf Jahren betrachtet wurde.

Die Größe muss dabei immer in Verbindung mit einem möglichen Wachstum gesehen werden, da der statistische Durchschnittseffekt vor allem auf Unternehmen zurückzuführen ist, die ein kräftiges Wachstum aufweisen. Geschrumpfte Firmen und Anbieter in kleinen Marktnischen bieten also nicht die Chancen auf Überrenditen. Sie besitzen zwar häufig auch nur eine geringe Marktkapitalisierung, ihnen fehlt jedoch das Entwicklungspotenzial, das aus kleinen unbeachteten Startups Weltunternehmen wie Microsoft machen kann, die aufgrund ihrer grandiosen Kursentwicklung den Renditedurchschnitt für die kleinen Werte nach oben treiben. 

Aktuelle Untersuchungen führen zu einer kritischeren Haltung gegenüber dem Größe-Effekt, denn an dieser Anomalie scheint sich der Mechanismus einer selbstzerstörenden Prophezeiung (self-defeating prophecy) zu bestätigen, da die Überrendite seit der Veröffentlichung von Banz geschwunden zu sein scheint. Als Erklärung kann die Reaktion vieler Investoren dienen, die alle von dieser Anomalie profitieren wollten, was zunächst zu Kursgewinnen, dann jedoch zu einer Ernüchterung der Anleger geführt hat.

Der Buch-/Marktwert-Effekt (Book to market effect)



Ein weiteres Merkmal, das mit Überrenditen in Verbindung zu stehen scheint, ist der Buchwert (book value) eines Unternehmens, d.h. grob gesprochen die Differenz zwischen den Aktiva und den Verbindlichkeiten eines Unternehmens.

Dieser Wert lässt sich problemlos den Bilanzen entnehmen, hängt jedoch zumindest teilweise von der Bilanzpolitik des jeweiligen Unternehmens ab. Das gilt vor allem für unterschiedliche Ansätze bei den Abschreibungen, die Aktivierung von Eigenleistungen und nicht letzt auch die Bildung von Goodwill. So kann der Fall eintreten, dass in einem Unternehmen große Teile des Eigenkapitals in immateriellen Werten gebunden ist, deren aktuelle Bewertung objektiv nur schwer bestimmbar ist. Fragwürdig können auch im Vergleich zu ähnlichen Unternehmen oder zur Vergangenheit hohe Halb- und Fertigwaren oder Forderungen sein, die in der Bilanz dem Eigenkapital gegenüberstehen. Hier ist die Gefahr relativ groß, dass hier eine Überbewertung besteht, da notwendige Abschreibungen hinausgezögert werden. Der Buchwert ist also immer nur ein Indikator für die Substanz eines Unternehmens.

Um dem „wahren Wert“ naher zu kommen, werden teilweise Korrekturen vorgenommen, etwa durch die Subtraktion immaterieller Wirtschaftsgüter. Das ist allerdings eine durchaus umstrittene Methode, da Marken beispielsweise, zumindest wenn sie gepflegt werden und ihre Strahlkraft seit dem Kauf nicht verloren haben, durchaus einen wichtigen Unternehmenswert darstellen, der häufig mehr an inneren Werten verkörpern kann als vorhandene Immobilien oder Maschinen, die sich praktisch nur schwer verkaufen lassen.

Der Buch-/Marktwert-Effekt als Anomalie eines effizienten Aktienmarktes wurde 1985 erstmals von Rosenberg/Reid/Lanstein aufgezeigt. Danach wiesen in einem Testzeitraum zwischen 1973 und 1984 Depots, die nach dieser Anomalie gebildet worden waren, sonst jedoch die Aktien sehr ähnlicher Unternehmen umfassten, eine monatliche Überrendite von 0,36% auf. In den Monatsdaten für den zwölfjährigen Untersuchungszeitraum gab es sehr deutliche Unterschiede, denn die günstigsten Monate lagen alle im ersten Quartal, wobei der Januar mit einer Überrendite von durchschnittlich 1,7 % herausragte. Wer diesen Effekt ausnutzen will, darf also am Anfang des Jahres und schon gar nicht im Januar von der Börse fern bleiben, da er sonst nur noch Diätkost erhält.

Aufgrund dieser deutlichen empirischen Belege revidierten Fama/French den Risikobegriff der CAPM; denn für sie lassen sich auch ein geringer Marktwert und ein niedriges Verhältnis von Markt- und Buchwert als Risiken interpretieren, da kleine Unternehmen krisenanfälliger sind und die Börse nur den Buchwert oder noch weniger zubilligt, wenn sich die Unternehmen oder die Wirtschaft in einer kritischen Situation befinden.
In ihrem Modell drücken sie das so aus, dass sich Gesamtrendite einer Aktie oder eines Aktienportfolios aus drei addierten Komponenten ergibt, und zwar der Rendite des Gesamtmarktes reduziert um die Rendite des risikofreien Zinses, der Renditedifferenz zwischen „kleinen“ und „großen“ Unternehmen sowie der zwischen typischen Value- und Growthaktien, wenn man hier die Kurs-Buchwert-Relation als Definitionsmerkmal wählt.

Die beiden Autoren haben ihr Modell selbst empirische geprüft, indem sie jeweils Dezile für die Ausprägungen der beiden Merkmale Größe und „Kurs-Buchwert-Verhältnis“ gebildet habe und die durchschnittliche Renditeentwicklung für die so erhaltenen 100 Klassen von Aktien berechnet haben. Dabei schwankt die Anzahl der Aktien, deren Daten sie zwischen 1963 und 1990 analysiert haben pro Klasse zwischen 11 und 177 (S. 434). Einbezogen wurden dabei Aktien, die an US-Börsen NYSE, AMEX und NASDAQ notiert waren.

Die monatlichen Unterschiede zwischen den extremen Dezilen betrugen dabei für die Value-Growth-Differenz 1,0 % und für das Größe-Merkmal 0,6%; bei den optimalen Kombinationen aus Aktien mit niedriger Marktkapitalisierung und hohem Buch-Kurswertverhältnis, wo es eine monatliche Rendite von 1,9 % gab, beträgt der Unterschied zu der entgegengesetzten Kombination, die nur 0,9 %, erreichte einen Prozentpunkt pro Monat.

Bei der Betrachtung der Einzelwerte für die 100 Aktienklassen lassen sich deutlich Effekte erkennen, wenn man jeweils eine der beiden Variablen konstant hält. So steigt die Rendite in jeder Größenklasse, wenn das Buch-Marktwert-Verhältnis steigt. Dabei ist der Effekt in den unteren Größenklassen besonders ausgeprägt. 
So vervierfacht sich die Rendite beispielsweise bei kleinen Unternehmen, wenn man nicht ein Dezil mit Unternehmen wählt, die eine hohe Marktbewertung erfahren, sondern ein Dezil, das Aktien mit einem hohen Buch-/Marktwertverhältnis umfasst. 

Dieser spezifische Größe-Effekt zeigt sich auch in einer monatlichen Renditedifferenz von über einem Prozentpunkt bei den kleinen Unternehmen, die entweder besonders hoch oder niedrig an der Börse bewertet sind. Bei den großen AGs sinkt diese Differenz hingegen auf nur 0,25-Prozentpunkte.

Dabei ist der Zusammenhang nicht völlig linear, da sich vor allem in untersten Dezil der Buch-/Marktwert-Relation keine eindeutige Abhängigkeit der Renditen von der Marktkapitalisierung ergibt, hier also nicht, wie es zu erwarten wäre, bei den kleinsten Unternehmen auch die höchste Monatsrendite auftritt. Das wird in der folgenden Tabelle deutlich, wo der Wert der Kombination der Dezile „Niedrigste Marktkapitalisierung“ und „Niedrigste Buchwert/Marktwert-Relation“ über dem Durchschnittswert für das Dezil „Niedrigste Buchwert/Marktwert-Relation“ liegt.

Monatliche Durchschnittsrenditen in den extremen Dezilen (in %)

Fama-French-
Merkmalsausprägung
Niedrigste Buchwert/
Marktwert-Relation
Höchste Buchwert/
Marktwert-Relation
Insgesamt
Niedrigste Markkapitalisierung
0,70
1,92
1,47
Höchste Marktkapitalisierung
0,93
1,18
0,89
Insgesamt
0,64
1,63
1,23
Quelle: Fama/ French, S. 446 

Später hat Griffin gezeigt, dass die Fama-French-Faktoren länderspezifisch sind und dass die lokalen Faktoren besser die zeitliche Varianz der Aktienrenditen erklären können als globale Faktoren. (Griffin, S. 790) Diesen Ansatz haben inzwichen auch Fama/ French aufgegriffen, sodass die Zeitreihen der lokalen und globalen Risikofaktoren auf Kenneth Frenchs Internetseite verfügbar sind.

In einer Reihe von Studien konnte das Fama-French-Dreifaktorenmodell mehr als 90 % der Varianz der Portfoliorenditen erklären (Griffin, S. 790), während das CAPM im Durchschnitt nur 70 % erklären kann. (weiter)


Quellen

Banz, Rolf, W.,The Relationship Between Market Value and Return of Common Stocks, in: Journal of Financial Economics, November 1981, S. 3 –18. 
Crain, Michael A., A literature review of the size effect, WP vom 29.10.2011. 
Dijk, Mathijs A. van, The Size Effect Paradox, WP von Juli 2007 
Fama, Eugene F. und French, Kenneth R., The Cross-Section of Expected Stock Returns, in: Journal of Finance, 1992, S. 427 – 465. 
Gregory, Alan, Tharyan, Rajesh und Christidis, Angela, Constructing and Testing Alternative Versions of the Fama-French and Carhart Models in the UK, WP, Oktober 2012. 

Rosenberg, B., Reid, K. und Lanstein, R., Persuasive Evidence of Market Inefficiency, in: Journal of Portfolio Management, 1985, No.3, S. 9 –16.

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