Montag, 8. April 2013

Anomalien_1


Wider die Theorie: Die Anomalien von Aktienkursen


Nach der Hypothese von einem effizienten Aktienmarkt können sich Aktienkurse nur zufällig verändern, d.h. ihre Veränderung darf sich weder aus Merkmalen des Unternehmens, das sie an der Börse repräsentieren, noch aus ihren spezifischen Eigenschaften, also etwa der Kursentwicklung im letzten Jahr oder besonderen Kursmustern, wie sie die Chartanalyse untersucht, prognostizieren lassen.

Ganz gleich, ob ein Unternehmen Verluste erleidet oder Gewinne feiert, in Analysen gute oder schlechte Beurteilungen erfährt oder der Kurs zu immer neuen Höhen emporschießt bzw. ständig weitere Widerstandslinien nach unten durchbricht: alles das ist für Kursprognosen ungeeignet, da jedes Ereignis unverzüglich korrekt eingepreist ist.

So lässt sich die These recht abstrakt formulieren und an Beispielen illustrieren. Man kann denselben Tatbestand jedoch auch viel plastischer beschreiben oder in anschaulichen Experimenten vorführen.

Die Aktienkurse lassen sich so etwa mit dem torkelnden Gang eines Betrunkenen vergleichen, dessen nächster Schritt sich nicht prognostizieren lässt, wie es als Vertreter dieser Random-Walk-Theorie der Finanzwissenschaftler Burton Gordon Malkiel (geb. 1932) versucht hat.

Beliebte anschauliche Experimente beziehen sich auf Wettbewerbe zwischen anerkannten Aktienexperten und Laien. Überzeugte Vertreter der EMH gehen dabei bis zu der Behauptung, dass auch die Aktienempfehlungen eines anerkannten Börsengurus keinen Affen schlagen können, der mit verbundenen Augen Darts auf einen Kurszettel wirft, wobei die dabei getroffenen Aktien jeweils gekauft werden.

Die Begründung für diese völlig zufälligen Kursverläufe ist die Tatsache, dass Transaktionen immer Käufer und Verkäufer voraussetzen, wobei nicht angenommen werden kann, dass eine der beiden Gruppen über bessere Informationen verfügt als die andere. Es stehen sich also bei einem Trade immer positive und negative Erwartungen gegenüber, die sich beim jeweiligen Kurs ausgleichen lassen, da bei diesem Preis sich die meisten Kauf- und Verkaufsabsichten realisieren lassen.

Das CAPM lässt für durchschnittlich höhere zukünftige Renditen hingegen einen Grund zu, und zwar das Risiko. Bei Aktien, deren Kurse stark schwanken, müssen Käufer höhere Renditen erwarten können, als bei Aktien, deren Kurse sich kaum von der Stelle rühren und die man daher früher häufig als „Witwen- und Waisen-Papiere“ bezeichnet hat. Dabei ist die Kursentwicklung häufig an das jeweilige Geschäft gekoppelt, etwa in früheren Quasimonopolzeiten die relativ gut vorhersehbare Versorgung einer Region mit Wasser und Strom auf der einen oder das Startup in einem Hightech-Bereich, wo niemand die Marktchancen auch nur annähernd abschätzen kann.

Nach diesem Modell können daher risikoreichere Aktien höhere Renditen aufweisen als Aktien, die weniger volatil sind. Entscheidend ist dabei die als Risikomaß angesehene Schwankung der Kurse gegenüber dem Marktdurchschnitt.

EMH und CAPM haben mit diesen leicht überprüfbaren Aussagen über Kursentwicklungen und damit die überzufällige Erzielung von überdurchschnittlichen Kursgewinnen mit Aktiendepots klare Orientierungsmarken gesetzt, die für die gesamte Finanzindustrie nicht gerade unerheblich sind.

Immerhin stellen diese Thesen die Existenz ganzer Gruppen von Spezialisten auf den Prüfstand, und zwar gleich mit einer sehr negativen Zukunftsprognose. Das gilt nicht nur für Börsenastrologen und Chartisten, sondern auch für Analysten, die Kursziele ermitteln und Fondsmanager, die den Markt schlagen wollen. Aus der Sicht der EMH scheint das eine Sisyphosarbeit zu sein, die trotz des größten Arbeitseinsatzes beim Entwickeln von Analyseprogrammen oder mühsamen Unternehmensbesuchen auch in den entlegensten Regionen keinen Erfolg verspricht. Betroffen sind aber zwangsläufig auch die zahllosen Tippdienste, die in Zeitschriften, Börsenbriefen oder per Email bzw. SMS den ganz heißen Börsentipp versprechen und damit den raschen Weg zum unendlich großem Reichtum fast sicher erscheinen lassen.

Alle diese Gruppen des Börsenlebens sehen EMH und CAPM nicht gerade gut aussehen, ja, wenn man ihnen nicht besonders wohlwollend gegenübersteht, kann es sogar vorkommen, dass Kritiker ihre Seriosität generell infrage stellen.

Aber auch in der empirischen Finanzmarktforschung haben beide Hypothesen zu einer Vielzahl von Tests geführt, da man eindeutig formulierte Aussagen hatte, die sich mithilfe der vorhandenen Sammlungen von Kurs- und Unternehmensdaten leicht überprüfen. Im Prinzip geht dabei darum, die Hypothesen zu falsifizieren, um damit die zugrundliegende Theorie zu widerlegen. Entsprechend der Wissenschaftslogik wäre dann eine alte widerlegte Theorie durch eine neue zu setzen, um so im Laufe der Forschung zu Theorien zu gelangen, die die Wirklichkeit der Kursentwicklung besser abbilden.

Im Laufe der Jahre konnten zahlreiche empirischen Untersuchungen nachweisen, dass es zumindest in den jeweiligen Untersuchungszeiträumen sehr wohl Merkmale gab, die einen überzufälligen Einfluss auf die Kursentwicklung besitzen. Wegen diesen Abweichungen von dem durch die herrschende Theorie für „normal“ gehaltenen Aussagen spricht man dabei von Anomalien.

Insgesamt hat meine größere Anzahl solcher Anomalien gefunden, die häufig in zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen wurden und spezifische Namen erhalten haben. Nicht zuletzt haben diese Falsifikationen zur Entwicklung der Behavioral Finance beigetragen, aus deren theoretischen Annahmen sich viele Anomalien erklären lassen.
Diese Bausteine, die einerseits zur Weiterentwicklung der Finanzmarkttheorie beigetragen haben, andererseits jedoch für das praktische Anlegerverhalten von Bedeutung sein können, sollen daher kurz vorgestellt werden. (weiter)

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