Dienstag, 12. März 2013

Value-Momentum-Strategie


Mit einer Mischung von Feuer und Wasser zur Überrendite


Destruktion oder Synergie bei der Renditeentwicklung?


Wenn man die Momentum- und die Value-Strategie vergleicht, scheinen zwei Gegensätze zu einem Börsenerfolg führen zu können. Während die Value-Anhänger vernachlässigte Schätze suchen, die erst noch von der Masse der Börsianer entdeckt werden sollen, setzen die Momentum-Trader auf den herrschenden Trend und wollen davor profitieren, dass er noch eine gewisse Zeit anhält. Man könnte also folgern, dass die einen mit dem Strom, die anderen hingen gegen den Strom schwimmen wollen, um Überrenditen zu erzielen.

Beide Seiten können empirische Belege und theoretische Begründungen für ihre Überzeugungen vorlegen, was einen Außenstehenden verwirren dürfte. Kann es denn sein, dass man sowohl bei einem Anlageverhalten mit als auch gegen den Trend erfolgreich sein kann.

Einen ganz praktischen Weg aus diesem Dilemma haben in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts einige empirisch interessierte Börsianer gesucht, die sich nicht vorher auf eine feste Position festgelegt hatten.

Die Effekte der Anomalien


So haben 1988 Bruce I. Jacobs und Kenneth N. Levy anhand der vorliegenden Aktien- und Unternehmensdaten getestet, wie sich die damals entdeckten Anomalien tatsächlich auf die Kursentwicklung auswirken. Dabei gingen die beiden Investment-Praktiker ohne irgendeine theoretische Belastung von der Aussage aus, dass aufgrund der gefundenen Anomalien die EMH falsifiziert wurde. Sie kompilieren daher alle bekannten Effekte und versuchen deren Implikationen für die Aktienrenditen zwischen 1978 und 1986 zu erfassen. Dabei konnten sie auch die wechselseitigen Abhängigkeiten der einzelnen Value-Merkmale  herausarbeiten, wobei sich das KGV als besonders gewichtiges Merkmal herausstellte. Daneben besaßen noch die Größe und das Umsatz-Kurs-Verhältnis eine relativ starke zusätzliche Bedeutung.

Weitete deutliche Effekte gingen von der Relativen Stärke und Einkommensnachrichten aus, d.h. von den Trends in den Gewinnschätzungen der Analysten und den Überraschungen bei den Gewinnmeldungen.

Während Risikomaße mit keinem signifikanten Renditeeffekt verbunden waren, gab es noch eine besonders gute Nachricht für alle Anleger, die zunächst noch auf die Auswirkungen der Effekte warten müssen, auf die sie bei ihren Aktientransaktionen gesetzt haben. Der stärkste Renditeimpuls ging nämlich von den Abweichungen aus, die aktuelle Kurse von den in dieser Untersuchung erwarteten Werten besitzen. Es baut sich also offensichtlich eine Spannung durch die "Fehlbeurteilungen" des Marktes auf, die sich dann in einer deutlichen Ausgleichsreaktion auflöst. Mit anderen Worten, wenn in einem Monat die Kurse nicht den erwarteten Verlauf genommen haben, folgt im nächsten Monat mit großer Wahrscheinlichkeit eine Kursänderung in die rechnerisch schon früher ermittelte Richtung.

Die Merkmale von Gewinnern


Reinganum hat etwa zum gleichen Zeitpunkt die übliche Fragestellung, die durch die Kritik an der EMH nahegelegt wird, umgekehrt. Ihn interessierten nicht die Merkmale, die anomale Renditen hervorrufen oder es zumindest zu tun scheinen. Vielmehr suchte er, wie es auch viele Börsenanfänger machen, nach den Besonderheiten von Aktien, die sich in der Vergangenheit gut entwickelt haben, um so die Geheimnissen zukünftiger Börsenerfolge zu entschleiern.  Auf seiner Suche nach der Anatomie von Aktienmarktgewinnern betrachtete er Aktien, deren Kurse sich binnen eines Jahres im Untersuchungszeitraum 1970-83 verdoppelt hatten. Im Ergebnis erhielt er als Rezept für eine erfolgversprechende Aktienauswahl eine Kombination von Wachstums- und Value-Kriterien.

Was hatten nun diese Wunderaktien gemeinsam? Es handelte sich vor allem um die Papiere kleiner Gesellschaften, bei denen der Marktwert unter dem Buchwert lag. Neben diesen Merkmalen, die ganz auf der Linie des Fama-French-Modells lagen, mussten noch zwei spezielle Momentumprinzipien erfüllt sein. So waren bei den Siegeraktien die Quartalsgewinne gestiegen und ebenso hatte sich von Vierteljahr zu Vierteljahr der Rang der Relativen Stärke verbessert.

Die O'Shaughnessy-Strategie


In seiner breit angelegten Aktienanalyse fand auch der Wertpapieranalyst James O'Shaugnessy für eine Reihe von Aktienmerkmalen, die mit positiven Renditeentwicklungen verknüpft sind.

Das galt für das Momentum, da auch nach seinen Ergebnissen die Verlierer eines vergangenen Jahres auch im Folgejahr Verlierer blieben. Historisch betrachtet stellten sie sich sogar als besonders schlechte Aktien heraus. Die Gewinner eines abgelaufenen Jahres zählten häufig auch weiterhin zu den Siegeraktien, allerdings mit Abstrichen; denn ihr Kauf erwies sich nur als eine durchschnittlich profitable Strategie, da in vielen Fällen bereits im Folgejahr eine Trendumkehr erfolgte.

Auch für vier Value-Merkmale fand O'Shaugnessy  Zusammenhänge. So hat sich der Kauf von Aktien mit hohen KGVs, wie sie für Growth-Aktien typisch sind, hat sich für die Anleger nicht ausgezahlt. Das galt in der Regel ab einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 20.

Aber auch bei niedrigen KGVs müssen Anleger vorsichtig sein, da in dem Untersuchungszeitraum eine niedrige Bewertung häufig spätere negative Korrekturen der Gewinnschätzungen antizipierte. Positiver fällt für O'Shaugnessy Beurteilung der Dividendenrendite aus. Hier konnte er die Dogs-10-Strategie bestätigt finden.

Als bester Value-Indikator erwies sich jedoch das KUV, also das Kurs-Umsatzverhältnis. Niedrige KUVs standen im verwendeten Datenmaterial für erwartbare Überrenditen.

Trotz der Erfolge mit mehreren Indikatoren bemühte sich O'Shaugnessy um mehr Anlageerfolg. Dabei kombinierte er ein Momentum- und ein Valuekriterium. Die Belohnung für langwierige Auswertung war eine durchschnittliche Überrendite von 18 Prozent.

Im einzelnen schlägt O'Shaugnessy ein zweistufiges Verfahren vor. Danach wählt man in einem ersten Schritt Aktien mit einem KUV von unter 1 aus. Dadurch erfolgt also eine Eingrenzung auf billige Börsentitel bzw. man vermeidet den Kauf überteuerter Aktien. Im zweiten Schritt werden aus dieser Vorauswahl die Papiere gekauft, die das stärkste Momentum besitzen.

Durch diese Vorauswahl schließt man damit die Schwäche einer reinen Momentumstrategie aus, da sich die entscheidende Rangreihe für die Auswahl ausschließlich auf immer noch preiswerte Aktien beschränkt. Die große Gefahr, dass einer langer Kurstrend abbricht oder sich sogar umkehrt, scheint somit relativ gering zu sein, denn bei diesen ausgewählten Aktien die Kurse ihre Bodenhaftung noch nicht verloren haben. Sie werden also nicht nur gekauft, weil sie stark gestiegen sind, sondern auch weil sie noch relativ preiswert sind.

Diese von O'Shaughnessy entdeckte "Topstrategie aller Zeiten" hätte in dem von ihm betrachteten Zeitraum eine erstaunliche Überrendite gebracht;  denn wer über 43 Jahre ständig nach den 50 Werten mit einem Kurs/Umsatz-Verhältnis von unter eins Ausschau gehalten hätte und diese Gruppe wiederum nach denjenigen mit dem höchsten Kurswachstum im Vorjahr durchgekämmte hätte, wäre mit jährliche Renditen von durchschnittlich 18 Prozent belohnt worden. Aus 10.000 Dollar wären so, hätte man sie 1951 investiert, bis Ende 1994 acht Millionen Dollar geworden.

Gemeinsam ist diesen drei Untersuchungen ihre völlige Theorieabstinenz, da sie mit dem vorhandene Datenmaterial nicht Hypothesen testen, die zuvor aus einer Theorie abgeleitet wurden. Es ging ihnen nicht darum, beispielsweise die EMH zu falsifiziere, indem sie einzelne anomale Zusammenhänge nachwiesen, die auf einem effizienten Aktienmarkt nicht auftreten dürften.

Ihre Ziele sind vielmehr rein praktisch und opportunistisch, da sie nach Möglichkeiten gesucht haben, um am Aktienmarkt möglichst erfolgreich zu sein. Da haben sie statistische Methoden benutzt, um in der Vergangenheit Merkmale von Aktien und Unternehmen aufzuspüren, die mit zukünftigen hohen Renditen verbunden waren.

Haugens „neue“ Aktienbeurteilung


Das war einige Jahre später bei einem Hochschullehrer ganz anders, der einen massiven Angriff gegen die klassische Finanzmarktheorie führte, gegen die „Theologen“, die an vollkommen effiziente Finanzmärkte und ihre dogmatisierte Trilogie  aus CAPM, MPT und EFT, wie er die gegner in seinem intellekturelen Feldzug nannte. Diese Kampf führte in den 1990er Jahren der US-amerikanische Finanzwissenschaftler Robert (Bob) Arthur Haugen (1942-2013), wobei er sowohl die generelle Effizienz der Kapitalmärkte als auch die Annahme von Risikoprämien in Frage stellte. 

In seiner Kritik wollte er sich nicht mehr mit den Anomalien, also mit Unregelmäßigkeiten in Randbereichen, wie etwa der Unternehmensgröße bzw. dem Momentum begnügen. Vielmehr richtete sich sein Vorstoß auf den Kern der Theorie, also das durch Varianzen gemessene Risiko, das durch eine entsprechende Rendite „belohnt“ wird. Dabei stützte er sich auf seine Analyse empirischer Daten, nach denen ein Minimum-Varianz-Portfolio eine höhere Rendite als ein Maximum-Varianz-Portfolio erzielt hat.

Vor diesem Hintergrund gelangt eine empirische Studie von Haugen/Baker (1996) zu überraschenden Ergebnissen. So ergeben sich signifikant positive Faktorprämien u.a. für das KGV, das Kurs-Cash-Flow-Verhältnis und die Buchwert-Marktwert-Relation, wobei jede dieser Variablen einen Zusatzbeitrag zur Erklärung erwarteter Renditen liefert.

Eine gleichzeitige Analyse verschiedener Merkmale, die zu Kurs-Anomalien führen, haben Haugen und Baker  für die USA, Japan, Deutschland, Frankreich und das United Kingdom, also die größten Aktienmärkte der Welt, unternommen. In dieser umfassendsten empirischen Analyse wurden für die Jahre 1979 -1993 in den USA die 3000 Aktien des Russell3000, also eines sehr breiten Indexes, und für Japan 715 Aktien sowie für die übrigen Länder zwischen 400 (Großbritannien) und 200 Aktien (Deutschland, Frankreich) im Zeitraum 1985 - 1994 betrachtet.

Renditeeffekte von Effekten und einzelnen Value- und Momentummerkmalen


Merkmal
Dezil 1 (klein)
Dezil 10 (groß)
Effekt
Marktkapitalisierung
-0,42
0,26
Größe-Effekt
Eigenkapitalrendite
-0,68
0,36
Rendite-Effekt
Gewinn/Kurs
-0,84
0,49
Value-Effekt
Cashflow/Kurs
-0,70
0,36
Value-Effekt
Buchwert/Kurs
-0,17
0,10
Value-Effekt
Dividende/Kurs
-0,04
0,10
Value-Effekt
6-Monats-Trend
-0,30
0,27
Momentum-Effekt
12-Monats-Trend
-0,59
0,51
Momentum-Effekt
Quelle: Haugen/ Baker, 2008, S. 19

Haugens Werttreiber


Als wichtigstes Ergebnis, das allen Jägern nach Extrarenditen Erfolg verspricht, haben die beiden Forscher in den Daten eine große Ähnlichkeit der fünf Märkte gefunden, sodass diese regelmäßigen Muster von Zusammenhängen sehr eindeutig gegen bloße statistische Artefakte bei den Ergebnissen sprechen.

Dabei ergeben sich teilweise überraschende Ergebnisse für vier Merkmalsbereiche, deren Bedeutung für Überrenditen erstmals im Vergleich dargestellt wurde.

Zentral ist dabei eine erneute Bestätigung für die Value-Investoren; denn relativ niedrige Aktienpreise führen zu besseren Renditen, wobei es weniger wichtig ist, welches Merkmal als  Indikator für das Preisniveau gewählt wird, denn sowohl billig eingekaufte Buchwerte als auch Umsätze besitzen die gleichen positiven Renditeeffekte. Allerdings sind sie für das niedrig bezahlte Eigenkapital besonders stark ausgeprägt. Durch diese Untersuchung wird daher erneut die Maxime jedes guten Käufers auf allen Märkte dieser Welt bestätigt: "The cheaper the stock, the better the outlook for future returns."

Ein zweiter Kranz von Wirkungen ergibt sich aus der Kurshistorie. Auch hier werden die Ergebnisse der Einzelanalysen bestätigt. Die Kurse haben offensichtlich ein Gedächtnis, das allerdings im Zeitablauf eine unterschiedliche Auswirkung auf den Kursverlauf hat. Es ist ein Wechselspiel von Reaktion und Gegenreaktion. Nach Formationsperioden von ein und drei Monaten sind die Korrelationen der Kursentwicklung einer Aktie negativ, es treten also gegenläufige Bewegungen oder Korrekturen von Kursgewinnen bzw -verlusten auf. Nach zwölf Monaten wird der Zusammenhang hingegen positiv, es gibt also über diesen Zeitraum einen nachweisbaren Trend, und nach fünf Jahren findet wieder eine Umkehr zu negativen Korrelationen statt, sodass hier Turnarounds eintreten. Dadurch wird also zumindest im Durchschnitt aller Aktien vermieden, dass die Kursbäume in den Himmel wachsen, während  in die Kurse zerbombte Aktien von maroden Unternehmen langsam wieder Leben kommt.

Eine prozyklische Strategie muss also die Entwicklung der Aktien in den vorangegangenen Monaten von maximal einem Jahr benutzen, eine antizyklische hingegen die Tendenz der letzten 60 Monaten. Eine kurzfristige antizyklische Strategie, die die Korrekturen innerhalb von nur ein bis drei Monaten ausnutzen will, lohnt sich hingegen nicht, da dabei derart viele Umsätze pro Jahr und damit hohe Transaktionskosten verbunden sind, dass eine ein- bis dreimonatlich orientierte antizyklische Strategie eher die Taschen der Banken und Börsen als die der Anleger füllt.

Damit sind auch die bereits die beiden wichtigsten Quellen für Überrenditen genannt; denn neben den Value-Merkmalen und dem Momentum hatte als einziges weiteres Merkmal noch die Eigenkapitalrendite oder Return on Equity (ROE) einen signifikant positiven Effekt für die Kursentwicklung. Unternehmen, die eine hohe Eigenkapitalrendite erwirtschaften, erreichen also bessere Kurse als Firmen, die nur schlecht mit dem Kapital wirtschaften, das ihnen ihre Eigentümer zur Verfügung gestellt haben. Das ist zwar prinzipiell logisch, aber es wird dennoch vom Markt offensichtlich nicht im Voraus vollständig antizipiert, sodass informierte Anleger von dieser Unterbewertung profitieren können.

Risiko und Überrenditen


Doch was ist mit Beta? Spielt dieses Maß für das Risiko, das für die etablierten Finanzmarkttheoretiker als einziges Merkmal mit Überrenditen belohnt werden muss, in den empirischen Daten und damit im tatsächlichen Marktgeschehen überhaupt keine Rolle. Trifft es also gar nicht zu, dass das Ertragen hoher Kursschwankungen, die als Risiko definiert werden, durch erwartbare Überrenditen entschädigt werden muss?

Für die Risikomerkmale erhalten die Autoren zwar auch signifikante Zusammenhänge. Sie sind jedoch relativ schwach und weisen zudem das falsche Vorzeichen auf. Nach den Daten führt damit ein höheres Risiko zu niedrigeren Renditen. Die Empirie widerspricht also den klassischen Modellannahmen, sodass innerhalb des generell risikoreichen Aktienmarktes der Kauf besonders volatiler Aktien keine Überrendite verspricht. Ein schnelles Auf und Ab der Kurse mag so zwar Pep in ein Depot bringen, jedoch keine zusätzlichen Renditen, die eher von den unterbewerteten, weil nicht so modischen und heiß diskutierten Aktien zu erwarten sind.

   
Quellen:
Adler, David, Opposites attract. Stock Watch vom 21.7.2009.
Assness, Clifford S., The Interaction of Value and Momentum Strategies, in: Financial Analysts Journal, März/ April 1997.
Ders., Moskowitz, Tobias J. und Pedersen, Lasse H., Value and Momentum Everythere, Working Paper, Februar 2008.
Haugen, Robert A., Comparative Analysis of Two-factor and Multi-factor Ranking Methodologies.
Ders. und Baker, Nardine L., Case Closed, Working Paper, Oktober 2008.
Dies., Commonality In The Determinants Of Expected Stock Returns, in: Journal of Financial Economics, Sommer 1996.
Hulbert, Mark, Value and Momentum Investing. Together at Last, New York Times vom 13.9.2008.
Jacobs, Bruce I. und Levy, Kenneth N., Disentangling Equity Return Regularities: New Insights and Investment Opportunities, in: Financial Analysts Journal, Mai/Juni 1988.
O’Shaughnessy, James, What Works on Wall Street, 1996.
Reinganum, Marc R., The Anatomy of a Stock Market Winner,in:Financial Analysts Journal, March/April 1988, Vol. 44, No. 2: 16-28.

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